Schweiz

Psychologe: Warum wir nicht genug von Trash-TV bekommen

Experte erklärt

Psyche und Trash-TV: Was uns wirklich an Reality-Shows fesselt

· Online seit 06.10.2024, 16:07 Uhr
Glaubt man den Kommentarspalten, schaut absolut niemand auf dieser Erde Trash-TV. Doch die Einschaltquoten von «Der Bachelor» und Co. beweisen das Gegenteil. Ein Psychologe erklärt, warum wir Reality-TV lieben und warum sich viele dafür schämen.
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«Die Verblödung der Menschheit», «Wen interessiert diesen Scheiss?» oder «Niemand schaut den Quatsch» so lauten die Kommentare unter den Videos zu vielen Reality-Formaten wie beispielsweise «Bachelor» oder «The Real Life #züri».

Alles klar, keine Person auf dieser Welt schaut scheinbar Reality-TV. Und trotzdem schiessen neue Reality-Shows wie Pilze aus dem Boden. Allein der Sender RTL hat über zehn solcher Reality-Formate.

Wer sind also all diese «Niemande», die sich diesen «Scheiss» geben und warum gibt keiner zu, Trash-TV zu schauen? Die Today-Redaktion hat bei Professor Christopher J. Hopwood, Persönlichkeitspsychologe an der Universität Zürich, nachgefragt.

Überraschung: Der Voyeurismus spielt eine zentrale Rolle. «Reality-TV funktioniert zum Teil deshalb, weil es Tabuthemen anspricht, zum Beispiel das Privatleben von Fremden zu belauschen, über sie zu urteilen und über sie zu tratschen», erklärt Hopwood.

«Reality-TV bietet uns so ein relativ harmloses Ventil, um uns auf eine Weise zu verhalten, die normalerweise nicht akzeptabel ist», erklärt er weiter. In unserem Alltag müssten wir uns an bestimmte Regeln halten, damit die Gesellschaft funktioniert.

Dazu gehöre, dass wir den Menschen eben genau diese Privatsphäre lassen und in der Öffentlichkeit nicht zu viele Gefühle zeigen. «Ein Teil von uns möchte sich aber nicht benehmen. Wir wollen sehen, was andere verbergen und wahre Gefühle zeigen, auch wenn es unhöflich ist», führt er weiter aus.

Empathie als weiterer Anreiz

Die Shows machen sich aber auch die Tatsache zunutze, «dass der Mensch ein sehr soziales Tier ist». Menschen seien von Natur aus an sozialer Dynamik interessiert. «Diese Formate ermöglichen eben auch, mit Menschen mitzufühlen, die schwierige Dinge durchmachen, und echte Gefühle zu Themen zu haben, mit denen wir in unserem eigenen Leben vielleicht zu kämpfen haben», hält Hopwood fest.

Unterschied bei Frauen und Männer

Nun gut, das erklärt also, warum wir Reality-TV schauen. Warum aber schämen sich viele dafür? Trash-TV gehört definitiv in die Sparte des «Guilty Pleasure», also ein Vergnügen, für das wir uns eigentlich ein bisschen schlecht fühlen.

Die deutsche Psychologin Dinah Gutermuth analysiert in ihrem Podcast «Trashologinnen» mit zwei weiteren Psychologinnen regelmässig diverse Trash-Formate. Gutermuths Theorie, warum wir uns für das Anschauen von Trash-TV schämen: Guilty Pleasures sind häufig Dinge, die traditionell als weiblich konnotiert sind. Keiner würde Fussballschauen und Grillen als Guilty Pleasure bezeichnen, so Gutermuth.

So simpel sieht das Hopwood aber nicht: «Ich kann mir eine Menge ‹Guilty Pleasures› vorstellen, die eher unter Männern verbreitet sind», stellt der Psychologe voran, aber viele Reality-Formate seien so gestaltet, dass es vor allem Frauen anspreche. «Frauen sind im Durchschnitt etwas sozialer und offener für Gefühle als Männer und werden sich in ihrem eigenen Leben eher mit Themen beschäftigen, die im Reality-TV gezeigt werden, als Männer», ergänzt Hopwood.

Doch Frauen erhalten eher eine Reaktion auf ihre «Guilty Pleasures»: «Frauen haben nach wie vor weniger Macht als Männer in der Gesellschaft und werden daher eher bestraft, wenn sie ihre Meinung äussern», so Hopwood weiter. Es sei aber ganz natürlich, dass jede soziale Gruppe ein schlechtes Gewisse hat beim Anschauen von Trash-TV.

Dein «Guilty Pleasure» ist gar nicht so guilty

«Es kann sich unanständig anfühlen, Zeit mit solchen Dingen zu verbringen», erklärt der Persönlichkeitspsychologe. Das könne sowohl der Grund sein, warum man Reality-TV liebt oder eben hasst. Schämen müsse man sich zwar nicht, wenn man die Shows schaut, der Psychologe könne sich aber vorstellen, woher die Scham kommt: «Den meisten Menschen fällt es schwer, sich selbst und ihr Verhalten vollständig zu akzeptieren.»

Wer ein schlechtes Gewissen habe, dem rät der Psychologe folgendes für sich selbst herauszufinden: Fühlt es sich besser an, zu akzeptieren, dass man Spass daran hat und weniger streng zu sich zu sein oder fühlt es sich besser an, einfach komplett auf das Schauen solcher Formate zu verzichten?

Und jetzt Hand aufs Herz: Welches ist deine liebste Reality-Show? Schreib sie uns in die Kommentare!

veröffentlicht: 6. Oktober 2024 16:07
aktualisiert: 6. Oktober 2024 16:07
Quelle: ZüriToday

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