Nicht alles ist ein Burnout
Immer mehr arbeitstätige Menschen in der Schweiz fühlen sich emotional erschöpft und die Arbeitsausfälle aufgrund von psychischer Erkrankung steigen an. Zahlreiche Umfragen – egal ob von Versicherungen oder Gesundheitsinstitutionen – kommen auf das gleiche Ergebnis: Jede dritte erwerbstätige Person fühlt sich nach eigenen Angaben emotional erschöpft.
Die Bezeichnung «Burnout» wird gesellschaftlich in diesem Zusammenhang nahezu immer gebraucht. Mittlerweile gilt die Krankheit als Mode-Erscheinung und als Verallgemeinerung jeglicher psychischer Erkrankungen. Im Fachgebiet ist das Burnout jedoch ganz klar definiert. Laut Ärztin Doris Straus von der Klinik Oberwaid St.Gallen müssen folgende drei Symptome gegeben sein, um von einem Burnout-Syndrom sprechen zu können:
- Depersonalisierung
Distanzierung sich selbst gegenüber und «innere Kündigung» der Arbeit. - Reduzierte Leistungsfähigkeit
Aufgaben fallen zunehmend schwer und beanspruchen mehr Zeit. - Emotionale Erschöpfung
Gefühl der Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und Kontrollverlust.
Die Symptome seien sehr unspezifisch, weshalb oft das Gefühl entstehe, Burnout sei nicht definiert, ergänzt Straus. «Erschöpfung kann beispielsweise auch bei anderen Erkrankungen vorkommen. Bei Burnout stellt sich nicht die Frage ‹Welche Symptome?›, sondern ‹Warum sind sie da?›». Burnout entsteht dort, wo es eine chronische und arbeitsbezogene Überbelastung gibt, welche nicht bewältigt werden kann.
Der schleichende Burnout-Prozess
Der Einstieg in ein Burnout geschieht schleichend: Erst sind Arbeitnehmende hoch motiviert und geben alles. Überschattet wird diese Motivation dann durch einzelne Rückschläge, wie beispielsweise mehr Kritik als Lob. Dadurch stellt sich der Ehrgeiz ein, noch mehr zu tun, Überstunden zu leisten, oder Pausen ausfallen zu lassen.
Sind erst einmal die eigenen Bedürfnisse vernachlässigt, lassen erste körperliche Symptome nicht lange auf sich warten. Jedoch ist die Einsicht in diesem Stadium kaum vorhanden: An Kopfschmerzen ist das Wetter schuld und an Müdigkeit und Schwindel der Vollmond.
Das erste Anzeichen, welches das Umfeld der betroffenen Person wahrnimmt, ist, dass sich diese immer mehr zurückzieht. Betroffene sagen vermehrt soziale Treffen ab und isolieren sich selbst. Dieses Verhalten ist bereits das siebte von zwölf Burnout-Stadien. Die Krankheit ist dementsprechend sehr weit fortgeschritten und die Abwärtsspirale lässt sich nur schwer aufhalten. Die Folge: Die erkrankte Person rutscht immer weiter ab, bis sie schliesslich in einer Depression landet.
Ein Burnout-Betroffener steht Red und Antwort
Genau diese Erfahrung machte vor 15 Jahren auch Werner Basler. Der damals 56-jährige Marketingleiter spricht im Video offen über seine Zusammenbrüche, ignorierte Anzeichen und die Reaktionen aus seinem Umfeld.
Quelle: FM1Today/Jessica Kappeler
Mit diesen Emotionen und Gefühlen ist der Pensionär nicht alleine. Auch wenn sich zwei Drittel der Bevölkerung gemäss Befragung der Gesundheitsförderung Schweiz gesund fühlen, sollte nicht ausser Acht gelassen werden, dass ein Drittel Burnout gefährdet ist, so die Expertin für psychische Erkrankungen Doris Straus. Und dies hat erhebliche Konsequenzen für die Schweizer Wirtschaft.
Laut Bericht der Axa Versicherung ist im Jahr 2022 die Ausfallrate aufgrund psychischer Erkrankungen um 20 Prozent gestiegen. Im Schnitt dauerten die Arbeitsabsenzen elf Monate laut der Gesundheitsförderung Schweiz.
«Unser Verhalten ist schizophren»
Der Ökonom und Glücksforscher Mathias Binswanger sieht die Problematik bereits beim Begriff «Burnout». Durch dessen Etablierung sei es für Arbeitnehmende mittlerweile viel einfacher, über Monate hinweg auszufallen – man habe ja schliesslich ein «Burnout». Es sei viel schwieriger zuzugeben, dass man überfordert sei.
Doch woher kommt dieses Gefühl der andauernden Überforderung? Liegt es am höheren Leistungsdruck? Der Experte bestreitet dies: «Ich würde nicht sagen, dass der Leistungsdruck generell höher ist. Wir haben aber mehr Herausforderungen. So arbeiten wir beispielsweise heute öfter für mehrere Arbeitgeber. Das erfordert mehr Planung und Koordination von jedem einzelnen.»
Er bezeichnet zudem das gesellschaftliche Verhalten als «schizophren». So seien psychische Erkrankungen zwar akzeptierter als noch vor 20 Jahren, dennoch dürfe man nicht selbst davon betroffen sein – das wäre ein persönliches Versagen und passe nicht in unsere erfolgsorientierte Vorstellung. So müsse man sich beispielsweise auch stets weiterbilden. Stehenbleiben gleiche einem Misserfolg.
Einmal Burnout, immer Burnout?
Doris Straus teilt die Meinung, dass es nach wie vor noch tabu ist, als erkrankte Person darüber zu sprechen. Dabei zeigen Studien, dass das Rückfallrisiko sehr gering ist, vorausgesetzt, man hat sich mit sich selbst auseinandergesetzt. Dazu gehört, eigene Verhaltensmuster zu analysieren und zu durchbrechen.
Um das zu verdeutlichen, nehmen wir das Beispiel des Perfektionisten, welcher prädestiniert für ein Burnout ist: Dieser muss lernen, mit Produkten und Leistungen zu leben, die nicht tadellos sind. Eigene Glaubenssätze wie «Ich bin es nur wert, wenn ich keine Fehler mache», müssen beispielsweise durch «Ich bin gut, so wie ich bin» ersetzt werden.
Patienten benötigen dazu im ersten Schritt die Akzeptanz der aktuellen Situation, sowie den Willen, etwas zu ändern, so die Expertin. Denn der Heilungsprozess ist ein langer – schliesslich haben solche Glaubenssätze die Burnout-Betroffenen schon ein Leben lang begleitet.
Krankschreibungen: So kurz wie möglich, so lange wie nötig
Die Burnout-Spirale kann mit Einsicht, Eigeninitiative und den richtigen Ansprechpartnern frühzeitig durchbrochen werden, sodass betroffene Personen nicht am Arbeitsplatz fehlen. Dieser Fall tritt jedoch aktuell noch selten ein. Viele Patienten holen sich erst in den letzten Stadien die nötige professionelle Hilfe. Eine lange Krankschreibung ist in diesen Fällen vorprogrammiert.
Ob dann die Behandlung ambulant oder stationär stattfindet, hängt vom Individuum ab. So oder so verfolgen alle Behandlungsmethoden dasselbe Ziel: So rasch wie möglich wieder auf die Beine zu kommen – aber richtig. Demnach soll die vollkommene Abwesenheit am Arbeitsplatz so kurz wie möglich sein und dient der Erholung.
Die Wiedereingliederung hingegen braucht Zeit und Geduld, sowohl von Seiten des Arbeitgebers, als auch von dem Burnout-Betroffenen. «Dass die Person wieder arbeitet, bedeutet nicht, dass sie wieder topfit ist», erklärt Straus. «Für die Therapie ist es aber wichtig zu sehen, wo der Alltag klemmt, wo es Probleme gibt. Nur so ist ein nachhaltiger Erfolg garantiert.»
Betriebsgesundheitsmanagement als Lösung
Die Gesundheitsförderung Schweiz empfiehlt den Unternehmen, ein betriebliches Gesundheitsmanagement einzuführen. Die Schweizer Wirtschaft könnte mit der Reduktion von Arbeitsausfällen wegen psychischer Erkrankung rund 6,5 Milliarden Franken sparen. Das Betriebsgesundheitsmanagement soll die Mitarbeitenden sensibilisieren und Anlaufstellen schaffen. Damit soll die Erkrankung frühzeitig erkannt und dagegen vorgegangen werden können.
In den meisten Grossunternehmen gibt es dafür eine Abteilung, aber wie können sich beispielsweise KMU dieser Herausforderung stellen? Straus sieht hierbei die Chance, dass die Vorgesetzten ihre Mitarbeitenden persönlich kennen. Verhaltensänderungen seien demnach schneller zu erkennen.
Es sei wichtig, diese direkt anzusprechen, was durch den persönlichen Kontakt einfacher sein kann. Es ist aber keine Garantie dafür, dass sich die Person einsichtig zeigt. Daher rät die Expertin: «Eine von Burnout betroffene Person zeigt sich meist uneinsichtig und teilweise auch verletzt durch das direkte Gespräch. Bleiben sie trotzdem daran und sprechen sie die Person wiederholt mit einer Ich-Botschaft an.»
Bei Burnout überschatten Stress und Leistungsdruck die eigenen Bedürfnisse. Daher gilt es, innezuhalten und sich, seine Gedanken und den Körper ganz bewusst wahrzunehmen. Stellen Sie sich regelmässig folgende Fragen: Wie geht es mir? Wie fühle ich mich gerade? Tut mir die Sache, die ich gerade tue, gut? Wenn nein, warum nicht und was könnte ich ändern, damit es mir besser geht? Ein Tagebuch kann hierbei auch Abhilfe schaffen, um eigene Muster zu erkennen.
Tipp 2: Bewusst Atmen
Im stressigen Alltag geht das bewusste, und vor allem tiefe Atmen verloren. Tiefes Einatmen in den Bauch reduziert nachweislich Stress, muss aber oftmals wieder erlernt werden. Stellen Sie einen Wecker auf vier Minuten und machen Sie es sich bequem. Schliessen Sie die Augen und halten eine Hand auf den Bauch, um zu spüren, wie dieser sich nach aussen wölbt. Beim Atmen zählen sie im Kopf wie folgt: auf sechs (einatmen), auf drei (halten), auf sechs (ausatmen), auf drei (halten).
Tipp 3: Hilfe in Anspruch nehmen
Scheuen Sie sich nicht, über Ihre Gefühle zu sprechen. Das kann in einem ersten Schritt auch mit den engsten Freunden oder Verwandten sein. Sich selbst professionelle Hilfe zu holen, benötigt viel Überwindung. Ihre Angehörigen können Ihnen beispielsweise helfen, eine Therapeutin oder Therapeuten zu suchen. Es gibt auch zahlreiche Selbsthilfegruppen, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen.
Sprechen Sie das veränderte Verhalten an mit einer Ich-Botschaft. «Mir ist aufgefallen, dass du nie Pausen machst» oder «Mir scheint dein Verhalten in letzter Zeit deutlich aggressiver zu sein, was ist los?». Rechnen Sie aber auch mit Zurückweisung. Die betroffenen Personen nehmen das teilweise gar nicht wahr, oder versuchen nach wie vor den Prozess zu verdrängen. Versuchen Sie es ein anderes Mal erneut.
Tipp 2: Offene Kommunikation
Informieren Sie sich über die Krankheit und sprechen Sie darüber. Die Erkrankung verläuft individuell, daher ist es wichtig für Sie zu wissen, was in Ihrem Gegenüber vor sich geht. Fragen Sie nach, ob und vor allem wie Sie behilflich sein können bei Alltagsaufgaben und nehmen Sie der betroffenen Person nicht gleich alles ab. Sie könnte sich nutz- und wertlos fühlen, wenn Sie plötzlich rein gar nichts mehr tun darf.
Tipp 3: Achten Sie auf sich selbst
Gerade wenn Ihnen die Person sehr nahe steht, oder Sie gemeinsam in einem Haushalt leben, kann die Situation sehr belastend für Sie sein. Versuchen Sie, die Reaktion des Gegenübers nicht auf sich zu beziehen und nehmen Sie sich trotz aller Liebe auch Zeit für sich. Gehen Sie Ihren Hobbies nach, verabreden Sie sich mit Freunden und holen Sie sich so Ihren Ausgleich. Holen Sie sich selbst professionelle Hilfe, wenn Sie merken, es geht nicht mehr. Nur solange es Ihnen gut geht, können Sie auch Unterstützung leisten.
Dargebotene Hand
143 / www.143.ch
Pro Mente Sana Beratung
0848 800 858 / www.promentesana.ch
Kriseninterventionszentren
St.Gallen: 071 914 44 44 / www.psychiatrie-sg.ch
Thurgau: 0848 41 41 41 / www.stgag.ch
Appenzell AI/AR: 071 353 82 04 / spitalverbund.ch
Wie geht es dir?
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Selbsthilfegruppen
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Suche nach professioneller Unterstützung
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Sanität – im Notfall
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Die ganze TV-Dokumentation unter: www.tvo-online.ch