Sein Tor gegen Crystal Palace gehört zum besten, was die Premier League hervorgebracht hat: Ballannahme, Lupfer über den eigenen Kopf, Volley mit Drehung aus fast 20 Metern. 2016 war der 21-jährige Dele Alli unaufhaltbar, er schoss als Mittelfeldspieler Tore am Laufmeter und stellte sogar Superstars wie Wayne Rooney und Frank Lampard in den Schatten.
Spätestens mit dem Rauswurf des damaligen Tottenham-Trainers Mauricio Pocchetino ging es für Alli nicht weiter. Sein Leistungsniveau fiel ab, unter José Mourinho kam er nach einer Weile nicht mehr zu Einsätzen, wechselte zu Everton und schliesslich in die Türkei zu Besiktas Istanbul.
Während dieser Zeit hing ihm der Ruf nach, lieber Party zu machen, als Fussball zu spielen. Sicher nicht völlig unbegründet – das ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs, wie Dele Alli im Interview mit Gary Nevilles Youtube-Format «The Overlap» offenbart.
Psychische Probleme und Tablettensucht
Der 27-Jährige erzählt vom Druck, den er als junger Superstar aushalten musste. Wie er damit nicht zurechtkam, immer öfter nach Schlaftabletten greifen musste und diese schliesslich auch tagsüber konsumierte - dazu auch viel Alkohol.
Das Interview bietet einen ungewöhnlich tiefen Einblick in eine Seite des Fussballs, die sonst nur spärlich beleuchtet wird. Dele Alli zerbrach am Druck und an den Erwartungen und fiel schliesslich in ein Loch, aus dem er selbst nicht mehr herausfand. "Ich konnte mich anderen gegenüber nicht öffnen, "sagt Dele Alli zu Gary Neville, «Ich wollte es alleine schaffen.»
Erst vor drei Wochen habe er seinen sechswöchigen Aufenthalt in einer Rehaklinik in den USA abgeschlossen. Dort habe er begriffen, dass sein Handeln und seine psychische Instabilität mit Traumata in seiner Kindheit zu tun hätten.
Mit sechs Jahren sexuell missbraucht
Im Gespräch offenbart Dele unter Tränen, dass er als Sechsjähriger im Haus seiner alkoholkranken Mutter von einem ihrer Bekannten sexuell misshandelt wurde. «Danach wurde ich zu meinem Vater nach Afrika geschickt, um dort Disziplin zu lernen», sagt Alli.
Geschehen ist das Gegenteil: Mit sieben Jahren begann Dele Alli zu rauchen, mit acht Jahren dealte er Drogen, im Alter von elf sei er von einem Mann über ein Brückengeländer gehalten worden. Auch Interviewer Neville zeigt sich sichtlich bewegt von der Geschichte Allis. Aufwärts ging es im Leben des jungen Mannes erst mit zwölf, als er adoptiert wurde.
Der Hunger ist zurück
Obwohl Alli laut seiner Aussage einen Platz bei den «besten Menschen der Welt» bekommen hatte, war der Schaden bereits angerichtet. Die Auswirkungen zeigten sich zwar erst in seinen Zwanzigern, doch sein Fall war tief. In der Reha habe er gelernt, damit umzugehen, und fühle sich mental nun besser als jemals zuvor.
«Wenn ich mit diesem Interview nur jemandem helfen kann, ist das gut für mich», sagt Dele. Sein Hunger und seine Liebe für Fussball seien wieder zurück. Dele Alli ist derzeit noch verletzt, will aber wieder angreifen. Wenn es in seinem Kopf stimmt, kann das auch gelingen: Sein fussballerisches Talent stand niemals zur Diskussion.