Seit Sommer 2020 ist die Zahl der Neugründungen von Firmen im Handelsregister um knapp 15 Prozent gestiegen und hält sich seither auf diesem Niveau. Konkret werden im Schnitt pro Monat etwa 740 neue Firmen im Handelsregister gemeldet. Das statistische Amt des Kantons Zürich weist total knapp hundert mehr als in den Jahren vor Krisenbeginn aus.
Im Vergleich zur Finanzkrise von 2008 zeigt sich heuer ein ganz anderes Bild: Damals hatte die Krise, die hauptsächlich durch hochriskante Hypothek-Spekulationen von Banken ausgelöst wurde, kaum Auswirkungen auf die Zahl der Neugründungen. Besonders spannend: Der Anstieg zeigt sich vor allem bei den Einzelunternehmen, wo die Neugründungen heute rund 20 Prozent über dem Vorkrisenniveau liegen.
Vom Bürojob zum Café-Inhaber
Nach einer kurzen Recherche im Schweizerischen Handelsamtsblatt SHAB finden sich einige auskunftswillige Neugründerinnen und Neugründer. Patrik Byber hat sich seit Anfang Oktober endlich ein langer gehegter Traum erfüllt und ein eigenes Café eröffnet. Die Bar Butter feierte vor kurzem ihre Eröffnung im Langstrassenquartier. «Vorher sass ich den ganzen Tag im Büro. Jetzt habe ich direkten Kundenkontakt, was mich sehr freut. Dafür stehe ich den ganzen Tag – daran muss ich mich noch gewöhnen», sagt der Neuunternehmer gegenüber ZüriToday.
Die Bar Butter ist typisch: Gerade im Gastgewerbe boomen die Neugründungen. Dies hängt mit der Zeit während der Pandemie zusammen, wo viel Betriebe entweder Konkurs anmelden mussten, oder die Gelegenheit nutzten sich anderweitig umzuorientieren. Dies führt dazu, dass viele interessante Liegenschaften frei wurden.
So auch in Bybers Fall: «Der einzige Grund für die Neugründung war die Opportunität der Immobilie. Denn es ist nicht einfach, eine gute Lokalität zu finden. Damit steht und fällt der Erfolg einer Gaststätte.»
Der Café-Inhaber ist gut vernetzt in der Gastro-Branche. Ihm ist diese Entwicklung in der Zürcher Café- und Bar-Szene ebenfalls aufgefallen: «Momentan sind viele hochwertige Gastro-Betriebe neu gegründet wurden.»
Hundeschulen und Coachings liegen im Trend
Neben dem Gastgewerbe, dem Handel oder den sonstigen Dienstleistungen, wie beispielsweise Arbeitskräftevermittlung und Gebäudebetreuung, zeigt sich auch in anderen Branchen ein Boom an Firmengründungen. So in den Bereichen Detailhandel, Immobilienwesen, übriges Gesundheitswesen (insbesondere Physio und Psychotherapie), Restaurants, Gebäudereinigung, Programmierungstätigkeiten sowie Frisör und Kosmetiksalons.
Auch im Versand und Internetdetailhandel ist die Zahl der Neueintragungen mit Beginn der Coronakrise stark angestiegen, hat sich aber inzwischen wieder normalisiert. In jüngster Zeit werden auffällig viele Einzelfirmen im Bereich der sonstigen Dienstleistungen eingetragen. Dabei ist die Firmenzahl in den Bereichen Coaching und Hundebetreuung besonders stark angestiegen
«Ich war voll in der Midlife-Crisis»
Ein weiteres Beispiel dafür ist Marco Beccarelli. Der dreifache Familienvater spürte nach langer Zeit in der Medienbranche das Bedürfnis nach einer Weiterentwicklung, wie er sagt.
Der Unterbruch durch die Corona-Pandemie kam dabei genau zur richtigen Zeit für den 45-Jährigen: «Vorher war ich komplett mit dem Arbeitsleben beschäftigt. Und plötzlich fragte ich mich: Was will ich eigentlich die nächsten zwanzig Jahre noch machen?» Er sei «voll in der Midlife-Crisis» gewesen und fing dann eine Ausbildung zum Mental-Coach an.
Quelle: TeleM1
Mitte 2022 gründete er ein Einzelunternehmen. Mit seinem Angebot traf er einen Nerv: «Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die Leute rannten mir die Türen ein.» Beccarelli musste gar Interessierte abweisen.
Er merke, dass gerade in der aktuellen Zeit, wo eine der Krise auf die andere folgt, Leute sich nach Orientierung sehnen. Der Mangel an Psycho-Therapie-Plätzen führt dazu, dass Leute wohl auch auf Coaching-Angebote ausweichen. Beccarelli betont aber: «Ich nehme nur gesunde Leute. Menschen mit ernsthaften psychischen Beschwerden verweise ich an Psychotherapeuten.» Sein Schwerpunkt liege eher auf beruflichen Weiterentwicklungen. Wobei etwa die Hälfte seiner Coaching sich mit Ängsten oder Unsicherheiten im Beruf beschäftigen.
Die Gründe für den Boom
Was sind die Gründe? Der Kanton macht einerseits die Umstellung im Alltag von vielen Menschen im Zuge der Corona-Krise verantwortlich: Mehr Online-Shopping, Essenslieferungen nach Hause, vermehrte gesundheitliche Beschwerden oder die Anschaffung von Haustieren. Diese Dinge haben Verhaltensänderungen ausgelöst und neue Konsumbedürfnisse geweckt. Daraus entstanden neue Geschäftsmöglichkeiten, welche die Firmengründerinnen und -gründer ausloten wollen.
Ob sich diese hohen Neugründungszahlen weiterziehen werden, ist fraglich. Denn das nächste Tief steht bereits an: die Energiekrise. Diese dürfte sich insbesondere auf energieintensive Branchen auswirken. Falls aber ein Energiemangel eintritt, würde sich dies wohl auf die ganze Wirtschaft auswirken. Daraus folgende Firmenkonkurse sind in beiden Fällen wahrscheinlich.