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Welche Konsequenzen hat Femizid in Bülach für die Kinder? Ein Psychotherapeut ordnet ein

Femizid in Bülach

Psychotherapeut: «Für die Kinder ist das die absolute Tragödie»

08.10.2024, 19:12 Uhr
· Online seit 08.10.2024, 16:25 Uhr
Am Sonntag soll ein 47-jähriger Afghane in Bülach seine Frau vor den Augen seiner Kinder getötet haben. Psychotherapeut Felix Hof ordnet ein, welche Auswirkungen dieses Erlebnis auf die Kinder hat und wie es für sie nun weitergeht.

Quelle: ZüriNews / Bluttat Bülach: Wenn Kinder Zeugen eines Mordes werden / Beitrag vom Oktober 2024

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Ein Ersthelfer berichtete, dass er gehört habe, wie ein Mädchen – die Tochter der Verstorbenen – schrie. Als sich der Ersthelfer näherte, sagte das Mädchen, dass ihr Vater ihre Mutter getötet habe. Wie viel bekommt ein Kind in diesem Alter, das Mädchen ist acht Jahre alt, schon mit?

Felix Hof: Das Kind hat die Tat definitiv mitbekommen und das sehr real. Das Kind kann das auch benennen. Das heisst, dass es jetzt hochgradig traumatisiert ist und in der nächsten Zeit enorm psychisch leiden wird.

Quelle: TeleZüri/ Daniel Fernandez / BRK News / CH Media Video Unit / Ramona Dosch-De Cesaris

Laut Schilderungen des Ersthelfers konnte das Mädchen in Worte fassen, was es gerade erlebt hat. Überrascht sie das?

Mich hat das sehr überrascht. Es hat mich aber – und das klingt eventuell ein wenig makaber – gefreut, dass das Kind schon benennen konnte, was es erlebt und gesehen hat. Das Kind verharrte nicht in einer Schockstarre und konnte eine erste Mitteilung dieser Tragödie machen.

Der mutmassliche Täter war kein Fremder, sondern der eigene Vater. Ist dies eine zusätzliche Belastung?

Das ist die absolute Tragödie. Die beiden Kinder – es waren offenbar zwei – haben auf einen Schlag beide Elternteile und damit ihre engsten Bezugspersonen verloren. Den einen Teil definitiv, den anderen Teil wahrscheinlich für die nächsten Jahre. Mit anderen Worten: Sie stehen jetzt einfach allein in der Welt. Sie müssen neu untergebracht werden und müssen neue Vertrauenspersonen finden. Es ist wahnsinnig traurig und tragisch.

Was macht dies mit dem Grundvertrauen der Kinder?

Das Grundvertrauen wird nachhaltig erschüttert. Diese Kinder haben ihren Vater geliebt und stellen plötzlich fest, dass die Person, die sie geliebt haben, ihnen jetzt ihre Mutter wegnimmt. Sie werden einen ganz schwierigen Weg haben in Bezug auf Beziehungen zu erwachsenen Personen. Können sie vertrauen? Sollen sie vertrauen? Was machen diese Personen, wenn sie ihnen vertrauen? Nehmen sie ihnen wieder eine geliebte Person weg? Das wird über Jahre eine Grundverunsicherung zur Folge haben.

Kann dies auch ein Leben lang so bleiben?

Mitunter ja. Kinder schaffen es aber immer wieder, mit sehr viel therapeutischer Unterstützung Vertrauen aufzubauen und sich wieder Personen anzunähern. Aber es ist langer und schwieriger Weg, der extrem viel Unterstützung, extrem viel Zuwendung und extrem viel Fürsorge braucht.

Was passiert jetzt mit diesen Kindern?

Ich gehe davon aus, dass diese Kinder in eine Fremdbetreuung kommen. Man sucht eine geeignete Familie, welche die Kinder aufnimmt. Dann wird man weiterschauen, wo die Kinder definitiv sein können. Es wird mit Sicherheit eine vorübergehende Platzierung brauchen. Ich glaube, dass das Umfeld im Asylzentrum jetzt gerade nicht das geeignete Umfeld für diese Kinder ist. Ich bin guter Dinge, dass man zu guten Lösungen kommt. Es gibt in der Schweiz zum Glück sehr viele hilfsbereite Pflegefamilien, die extrem gut auf solche Kinder schauen können.

Und die psychologische Betreuung?

Die braucht es sofort und ganz intensiv. Die Kinder brauchen einen niederschwelligen Zugang. Es braucht Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die elastisch und belastbar sind und die Not dieser Kinder aushalten.

Wie sieht eine psychologische Betreuung bei Kindern aus? Wie findet man den Zugang zu den Kindern?

Es gibt verschiedene Zugänge. Bei achtjährigen Kindern kann man in einer einfachen Kindersprache bereits gut kommunizieren. Man kann dann versuchen herauszufinden, welche Gefühle die Kinder derzeit haben und welche Bilder sie sehen. Dann kann man mit indirekten Themen ans Kind herankommen, zum Beispiel über das Spielen, das Nachstellen von Situationen, mit Bildern, es gibt verschiedenste Zugänge. Wichtig ist, dass sich das Kind aufgehoben fühlt, man ihm den Raum gibt, den es braucht und es zu nichts drängt.

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Für dieses Interview wurde ein Gespräch, das von TeleZüri geführt wurde, verschriftlicht.

veröffentlicht: 8. Oktober 2024 16:25
aktualisiert: 8. Oktober 2024 19:12
Quelle: ZüriToday

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zueritoday@chmedia.ch