An den Olympischen Spielen in Paris sind alle Blicke auf die Sportlerinnen und Sportler gerichtet. Das Schweizer Publikum hofft, dass sie möglichst viele Medaillen nach Hause bringen. Heinz Oeschger betrachtet die olympischen Spiele in der französischen Hauptstadt aus einem anderen Blickwinkel.
Mit Olympia habe er nichts am Hut, sagt Oeschger zu ZüriToday. Der sportliche Grossanlass begeistert ihn vor allem wegen der Baukultur von Paris. «Ich hoffe, dass die Zürcherinnen und Zürcher aus Paris lernen und für eine schöne Stadt zusammenstehen», sagt der 77-jährige, der in Zürich als selbständiger Architekt arbeitet.
In seinem Blog Zuerivitruv, angelehnt an den römischen Architekturtheoretiker Marcus Vitruvius Pollio, und auf seinem gleichnamigen Instagram-Account nimmt Oeschger regelmässig die Architektur Zürichs unter die Lupe. «Nachdem Paris uns mit den olympischen Spielen vormacht, was aus jahrhundertelangem Umgang mit einem Flussraum entstehen kann, lümmelt unser Limmatraum weiter vor sich hin», kritisiert er in seinem aktuellsten Eintrag.
«Zürich befindet sich auf forcierter Talfahrt»
Henri IV. habe um 1600 am Spitz der Île de la Cité Wohnblöcke, die im Inneren die dreieckige Place Dauphine formten, berührungslos zusammenlaufen lassen, schreibt Oeschger. Am Punkt stehe mit Terrasse und Reiterstatue sein Pont Neuf. «400 Jahre später befindet sich Zürich an der Limmat gerade jetzt auf forcierter Talfahrt, obwohl um 1990 die Industriezonen aufgehoben wurden.»
Der sonnige Wipkingerpark am Wasser wird laut dem Architekten gegenüber gerade von einer neuen Hochhauswand «vergewaltigt». Ein Jahrzehnt zuvor habe es dasselbe Spiel mit dem Kornturm, dem gegenüberliegenden Wohnquartier und der zugehörigen Badeanstalt gegeben. «Die olympischen Spiele und ihre kühne Inszenierung an der Seine könnte uns aufwecken und wenigstens die Talfahrt aufhalten lassen», fordert Oeschger. Der nächste Schritt wäre dann die Trendumkehr. «Doch wo wird in unserer Stadt überhaupt Städtebau gemacht?», fragt er.
«Städtebau orientiert sich am Hochhaus-Bewohner mit Rolex-Uhr»
Oeschger ist der Meinung, dass Zürich keine Städtebaukultur hat. «Wir haben ein Stoppelfeld von Hochhäusern, weil man dort, wo ein Grundstück es gerade zulässt, einen Klotz hinpflanzt», sagt er zu ZüriToday. Beim Zürcher Städtebau stehe eher die finanzielle Opportunität und nicht das Stadtbild im Vordergrund. «Er orientiert sich am Hochhaus-Bewohner mit der Rolex-Uhr am Handgelenk.»
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Nun müssten die Citoyens aus dem Busch kommen, so der Architekt. Damit sind Bürgerinnen und Bürger gemeint, die sich für eine hohe Qualität in der Baukultur einsetzen. «Ansonsten haben wir nur noch eine chaotische Anhäufung von Häusern», prognostiziert er.
«Es gibt sehr viele schöne Orte in der Stadt Zürich»
Der Präsident der Kommission für Hochbau und Stadtentwicklung des Zürcher Gemeinderats hält die Kritik nicht für gerechtfertigt. Die Baugesetze der Stadt Zürich seien streng, sagt SP-Gemeinderat Mathias Egloff. Von den Anforderungen der Verdichtung über die Stadtplanung bis zum geschützten Freiraum müsse alles in Einklang gebracht werden. «Gute Architektur und damit Ästhetik erreicht die Stadt über Wettbewerbe. Die kommen aber leider nicht immer zur Anwendung, vor allem nicht, wenn Immobilienfirmen bauen.»
Trotzdem setzt sich die Kommission laut Egloff mit Gestaltungsplänen für ein schönes Stadtbild ein. «Es gibt sehr viele schöne Orte in der Stadt Zürich.» Als Beispiel nennt er den Röschibachplatz. «Dort stimmen zwar die Ästhetik und die Aufenthaltsqualität, aber dafür gehen die Mietzinsen in den Himmel.»
«Kein ästhetischer Knüller»
Geht es nach Egloff, fällt Zürich neben Paris nicht ab. Übrigens sei Paris von Napoleon abgerissen und neu gebaut worden, merkt er an. «In Paris sind es lediglich die grösseren Gesten, die zum Tragen kommen.» In Zürich probiere man dagegen eher, Bestehendes weiterzuentwickeln.
Tatsächlich seien in den letzten Jahren Hochhäuser entstanden, die «kein ästhetischer Knüller» seien, sagt der SP-Gemeinderat. «In meinen Augen stellen diese für das Bild der Stadt aber kein gesondertes Problem dar.» Der Prime Tower zum Beispiel sei ästhetisch, aber völlig unzugänglich und isoliert. Als schlechte Entwicklung sieht Egloff aber, dass die Mehrheit der Bauprojekte von Immobilienkonzernen stammt. «Dabei kommen die Ästhetik und das menschliche Mass zu kurz.»