Zürich

«Sie ist einfach weggerannt» – hat er seiner Freundin eine Pistole an den Kopf gehalten?

Bezirksgericht

«Sie ist einfach weggerannt» – hat er seiner Freundin eine Pistole an den Kopf gehalten?

12.10.2022, 07:35 Uhr
· Online seit 12.10.2022, 07:34 Uhr
Ein 26-Jähriger musste sich vor dem Dietiker Bezirksgericht wegen Körperverletzung und Drohung verantworten.
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In den seltensten Fällen präsentiert sich ein Angeklagter – ja, die Verwendung des Maskulinums drängt sich in der Regel auf – so, wie man sich ihn im Klischee vorstellt. Nicht so bei Marco (Name geändert). Der 26-Jährige nimmt mit legeren Designer-Klamotten Platz vor dem Dietiker Bezirksrichter Benedikt Hoffmann. Sein Kopf ist fast kahl geschoren. Tattoos winden sich seinen Hals entlang, seine Hände sind ebenfalls mit schwarzer Tinte verziert. Ja, diesem jungen Mann würde man tatsächlich kriminelle Energie attestieren, wie die «Limmattaler Zeitung» berichtet.

Ihm wird vorgeworfen, im Februar dieses Jahres seine damalige Freundin bedroht und Gewalt angewendet zu haben. So soll er laut Anklageschrift im Verlaufe eines Streits seiner Freundin eine täuschend echt aussehende, schwarze Pistole an den Kopf gehalten haben. Als die verängstigte Frau daraufhin mit ihrem Mobiltelefon die Polizei alarmieren wollte, habe Marco ihr das Telefon weggenommen und es durch die Terrassentüre auf die davor liegende Wiese geworfen. Somit habe er der Freundin eine telefonische Alarmierung der Polizei verunmöglicht.

Als die unterdessen panische Frau Marcos Wohnung via Terrasse habe verlassen und wegrennen können, habe Marco sie verfolgt, sie gepackt und sie im «Schwitzkasten» um den Hals gepackt, «sodass die Frau Atemnot hatte und ihr kurzzeitig schwarz wurde vor den Augen», heisst es in der Anklageschrift weiter. Überdies sei Marco im Besitz eines Schlagringes und zwei Gramm Kokain gewesen, die er in seiner damaligen Wohnung aufbewahrt habe.

Angeklagter will Freundin zum Gehen aufgefordert haben

Ob Marco sich an besagten Morgen erinnern könne, wollte der Richter bei der Verhandlung letzte Woche wissen. «Ja, ich weiss noch sehr genau, was damals passiert ist», sagte Marco mit selbstsicherer Stimme, die er während der ganzen Verhandlung beibehalten sollte. «Ich arbeite als Metzger und hatte einen sehr anstrengenden Arbeitstag.»

Seine damalige Freundin habe damals im Service gearbeitet. «Morgens um 1 Uhr hat sie mich angerufen und gesagt, sie wolle noch Geld an der Langstrasse aus dem Bankautomaten holen.» Ihm sei das sonderbar vorgekommen, er habe sich aber schlafen gelegt. «Erst kurz vor acht Uhr ist sie in meine Wohnung gekommen. Ich sah sofort, dass sie ziemlich betrunken war. Und das hat mir überhaupt nicht gepasst. Wer will schon eine Freundin, die immer stockbesoffen ist?» Er habe ihr deshalb gesagt, sie solle alles packen, ihm noch 1000 Franken für die Miete bezahlen und dann verschwinden.

«Die Waffe habe ich auf dem Balkon versteckt»

Doch trotz mehrmaliger Bitte sei sie einfach nicht gegangen. Da sei es zu einem kleinen verbalen Streit gekommen, bei dem sie ihn als «Hurensohn» beschimpft habe. «Sie hat mir auch drei Ohrfeigen verabreicht, mir ins Gesicht gespuckt und mir das T-Shirt zerrissen.» Auch gekratzt und getreten habe ihn seine Freundin. «Dann ist sie rausgerannt und hat wie wild nach Hilfe geschrien, was mir ganz und gar nicht gepasst hat.» Er sei ihr deshalb hinterhergerannt und habe sie gebeten, sich doch bitte endlich zu beruhigen. «Doch sie ist einfach weggerannt, worauf ich mich wieder schlafen legte.»

Richter Hoffmann wollte von Marco wissen, was denn an der Aussage dran sei, er habe seine damalige Freundin in den «Schwitzkasten» genommen. «So etwas würde ich nie machen.» Und wie er sich denn die Kratz- und Würgespuren an seiner Freundin erkläre? «Die hat sie sich wohl selber zugefügt. Wenn sie nervös war, hat sie sich immer selber gekratzt», sagte Marco. Er sei zu keinem Zeitpunkt handgreiflich geworden. «Auch habe ich ihr nie im Leben eine Pistole an den Kopf gehalten.» Weshalb die Pistole denn auf dem Balkon aufgefunden worden sei und nicht im Waffenkoffer, wo sie sonst immer gelagert war, wollte der Richter weiter wissen. «Ich war kurz davor, umzuziehen, und meine Mutter wollte mir beim Packen und Ausmisten helfen. Ich habe die Pistole auf dem Balkon versteckt, damit sie sie nicht zu Gesicht bekommt», so Marco.

«Klägerin konnte Ereignisse glaubhaft schildern»

Für die Klägeranwältin war die Sache klar: Marco sei wegen Körperverletzung und Drohung schuldig zu sprechen: «Die Klägerin konnte die Ereignisse glaubhaft schildern.» Zudem sei es dem Beklagten anzukreiden, dass er zuerst jegliche Aussage verweigerte. «Erst heute, nachdem er die ihm vorgelegten Vorwürfe der Staatsanwaltschaft studieren konnte, hat er sich geäussert und dabei perfekte Begründungen geliefert.»

Ganz anders beurteilte der Verteidiger die Geschehnisse. «Die Aussagen der Klägerin weisen massive Widersprüche auf.» So habe sie bei den Befragungen durch die Polizei und später durch die Staatsanwaltschaft zwei komplett verschiedene Versionen präsentiert. Zudem sei die Klägerin zum Zeitpunkt des Vorfalls stark alkoholisiert gewesen, weshalb ihre Aussagen mit Vorsicht zu geniessen seien. «Letztlich haben wir es hier mit einem klassischen Vier-Augen-Delikt zu tun. Doch die blosse Möglichkeit, dass es sich tatsächlich so zugetragen hat, heisst nicht, dass es auch wirklich so passiert ist», hielt der Verteidiger fest.

Marco sagte in seinem Schlusswort: «Es tut mir leid, dass wir heute hier sitzen. Aber ich habe die mir vorgeworfenen Dinge nicht begangen.» Das Gericht glaubte ihm. Oder wie es Richter Hoffmann auf den Punkt brachte: «Die Aussagen der Klägerin sind nicht plausibel.» Es gehe auch gar nicht darum zu beweisen, dass die Klägerin nicht gelogen hat. «Vielmehr hätten wir für eine Verurteilung überzeugt sein müssen, dass sie die Wahrheit sagt.» Nur gerade eine kleine Geldstrafe für den Besitz des Schlagrings setzte es für Marco ab. Damit dürfte er leben können.

(Martin Rupf/Limmattaler Zeitung)

veröffentlicht: 12. Oktober 2022 07:34
aktualisiert: 12. Oktober 2022 07:35
Quelle: Limmattaler Zeitung

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