Zürich

Spenden und Assistenz: Stefano Pichierri konnte vor Tod Italien-Ferien machen

Letzte Reise

Stefano (34) aus Zürich stirbt nach Kampf für Italien-Ferien

· Online seit 06.10.2024, 15:19 Uhr
Rund um die Uhr war der 34-jährige Zürcher Stefano Pichierri auf Pflege angewiesen. Dank Spenden und einem selbstlosen Pflegeteam konnte der Bewohner der Mathilde Escher Stiftung noch einmal verreisen. Nun stehen Assistenzbudgets zur Debatte.
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Viele Zürcherinnen und Zürcher schwärmen aktuell in die Herbstferien aus – vielleicht geht es auf einen Städtetrip, vielleicht aber auch nochmals nach Italien an den Strand. So spontan wie manche verreisen können, so stark kämpfte Stefano Pichierri, überhaupt in die Ferien gehen zu können.

Ende Mai verbrachte der 34-Jährige eine Woche am Badeort Lignano Sabbiadoro an der Adria-Küste. Einen Monat später starb er. «Stefano war mega happy, dass er diese Reise machen konnte», erzählt seine Schwester Nadia Minghella ZüriToday. Er habe im Rollstuhl die Sonne am Strand genossen und von seinem Ausflug nach Venedig geschwärmt.

Pichierris Tod am Sonntagmorgen Ende Juni kam plötzlich. «Wir standen alle unter Schock, obwohl wir wussten, dass dieser Tag irgendwann kommen würde», sagt seine Schwester. Eine Stunde nach der Morgenpflege habe er von einer Sekunde auf die andere einen Herzstillstand erlitten. «Stefano sagte immer, er hoffe, dass es schnell gehe, wenn es so weit sei.» Ein kleiner Trost sei, dass er nicht gelitten habe.

«Lasse mich nicht daran hindern, mein Leben zu leben!»

Pichierri litt seit seiner Kindheit an der Erbkrankheit Muskeldystrophie Typ Duchenne. Die Krankheit schritt immer weiter fort und fesselte ihn an den Rollstuhl. Auch war er auf ein Beatmungsgerät angewiesen. Bis zu seinem Tod wohnte er deshalb in der Mathilde Escher Stiftung in Zürich. «Seit er im Heim war, war es für meine Eltern zu schwierig, mit ihm zu verreisen, da er rund um die Uhr Pflege benötigte», sagt Nadia Minghella.

Die Sehnsucht nach Italien, wo der Italo-Schweizer mit seiner Familie als Kind früher oft in die Ferien gegangen war, war grösser als die Widerstände seiner Krankheit. Während seiner Ferien war er auf Pflegepersonal angewiesen. 2023 startete er deshalb ein Crowdfunding. «Trotz vielen Einschränkungen und hohem Pflegebedarf lasse ich mich nicht daran hindern, mein Leben zu leben!», schrieb er darin. Sein Wunsch sei es, im Sommer 2023 für sieben Tage eine Reise nach Lignano Sabbiadoro zu unternehmen. «Ich möchte diese selbstständig planen und organisieren.» «Mit meiner IV-Rente und den Ergänzungsleistungen ist es unmöglich, mein Vorhaben selbst zu finanzieren», schrieb er im Spendenaufruf. 15'000 Franken setzte er als Spendenziel.

Spenden und freiwilliges Team

Für die Ferien, die ein Jahr später klappten, gingen laut Nadia Minghella 2400 Franken Spenden ein, womit er das Hotel bezahlen konnte. Einen Zustupf gaben die Eltern. «Finanziell möglich wurden die rund 8300 Franken teuren Ferien aber nur, weil ihn ein dreiköpfiges Pflegeteam des Heims freiwillig und auf eigene Kosten begleitete.» Die beiden Frauen und der Mann hätten ihn seit vielen Jahren im Heim gepflegt und seinen Wunsch unbedingt erfüllen wollen.

Der Kampf ihres Bruders für die letzte Reise schmerzt Nadia Minghella. «Er hätte sicher weitere private Reisen gemacht, wenn Pflegebedürftige dabei finanziell unterstützt würden.»

«Chance geht verloren»

Die Mathilde Escher Stiftung organisiert regelmässig Reisen für ihre Bewohnerinnen und Bewohner. «Wir haben in diesem Jahr zwei Reisen veranstaltet und konnten dadurch 13 Erwachsenen eine Reise nach Nizza ermöglichen», sagt Katja Lohse, stellvertretende Geschäftsführerin der Stiftung.

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Lohse bestätigt, dass viele Bewohnende den Wunsch nach einer privaten Reise verspürten. «Aber nur die wenigsten können ihn umsetzen.» Neben der aufwändigen Organisation und den Kosten sei der Personalaufwand enorm. «Häufig müssen sie zwei bis drei Betreuende mitnehmen, um die 24-Stunden-Betreuung gewährleisten zu können.»

Puren Luxus sieht Lohse darin nicht. Jede Herausforderung, die erfolgreich bewältigt werde, wirke sich positiv auf das Selbstbild der Menschen aus, sagt Lohse. «Wenn eine Reise nicht gemacht werden kann, geht diese Chance verloren».

Die stellvertretende Geschäftsführerin sieht Optimierungspotenzial. Für Menschen ohne Einschränkungen seien im Normalfall zwei Wochen Ferien pro Jahr finanziell verkraftbar. «Im Sinne einer Gleichstellung sollte das auch für Menschen mit einer Beeinträchtigung möglich sein.» Falls der politische Wille eines staatlichen Engagements besteht, sieht sie ein Assistenzbudget für Reisen als Möglichkeit.

Nationalrat Kutter plant Vorstoss

Der Zürcher Mitte-Nationalrat Philipp Kutter ist seit einem schweren Skiunfall auf den Rollstuhl angewiesen. Das Thema Assistenz sei tatsächlich unbefriedigend gelöst, sagt er. Er plant, im Nationalrat einen Vorstoss einzureichen, der eine Verbesserung der Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderung fordert.

Begrüssen würde er jedoch, wenn dieses Thema nicht anhand der Ferien, sondern der beruflichen Integration diskutiert würde. «Viele Menschen mit Behinderung könnten selbständig wohnen und einer Arbeit nachgehen, wenn sie mobiles Assistenzpersonal einsetzen könnten.» Dies wäre seiner Meinung nach sogar aus Kostengründen attraktiv. «Wenn jemand dank Assistenz einem Beruf nachgehen kann, so ist das letztendlich günstiger, als wenn der Betreffende nicht mehr arbeiten kann und deshalb eine Rente braucht.»

veröffentlicht: 6. Oktober 2024 15:19
aktualisiert: 6. Oktober 2024 15:19
Quelle: ZüriToday

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