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Zürich: Lehrpersonen ohne Diplom bald drei Jahre im Einsatz?

Parlament

Lehrpersonen ohne Diplom sollen bald drei Jahre dieselbe Klasse unterrichten

· Online seit 15.09.2024, 08:46 Uhr
Seit dem Schuljahr 2022/2023 arbeiten im Kanton Zürich rund 600 Lehrpersonen ohne Diplom. Ihr Arbeitsverhältnis ist jeweils befristet auf ein Jahr, doch das soll sich bald ändern. Zwei Lehrerinnen erzählen ihre Geschichte.
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Antonella Lombardi unterrichtete im vergangenen Schuljahr eine Primarklasse in Dietikon. Als Lehrperson ohne Diplom war ihre Stelle auf ein Jahr befristet. «Ich musste meine Klasse im Juli verlassen. Das hat den Kindern und mir extrem wehgetan», sagt sie rückblickend.

Trotz Lehrpersonenmangel ist die 50-Jährige seitdem auf Stellensuche. Praktische Erfahrung hat Lombardi zuhauf – sie arbeitete drei Jahre als Schulassistentin, war Lehrlingsverantwortliche bei einer Grossbank und ist seit Jahren Firmkursassistentin für Jugendliche in der katholischen Kirche. Will sie weiterhin unterrichten, muss sie an eine Schule ausserhalb der Gemeinde Dietikon wechseln.

Enttäuschung bei der Ausbildung

Zwar könnte sie das Diplom an der PH Zürich nachholen, doch von dieser fühlt sich Lombardi im Stich gelassen. «Ich hatte vor knapp einem halben Jahr leider keinen Erfolg bei der Aufnahmeprüfung», wie sie erzählt. Als sie die Testergebnisse im Nachgang mit den Fachpersonen habe besprechen wollen, sei sie abgewimmelt worden. «Die PH Zürich hat mir gesagt, dass ich diesen Traum vergessen und zur Bank zurückgehen soll. Kein Wort über den möglichen Vorkurs für Berufsleute oder eine gute Prüfungsvorbereitung».

Eine zusätzliche Hürde für viele Lehrpersonen ohne Diplom: Das Studium an der PH Zürich ermöglicht nur eine Teilzeitstelle. Lombardi sagt: «Viele Interessierte können diesen Studiengang gar nicht machen, weil sie es sich finanziell nicht leisten können.»

Diplom nicht anerkannt

Auch die 54-jährige Sarah K.* kennt das Problem. Sie zählt für die Ausbildung zur Primarschullehrerin auf die Unterstützung ihrer Familie. Zunächst steht im Oktober jedoch die Aufnahmeprüfung an der PH Thurgau an. «Ich bin bereits in drei Gemeinden gesperrt und kann dort als Lehrperson gar nicht mehr zurückkehren. Es ist aber auch kein Zustand, immer wieder die Stelle zu wechseln», sagt sie.

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Für ihren Wunschberuf nimmt sie einen weiten Weg auf sich. Zwar hatte sie an einer Rudolf-Steiner-Schule die dreijährige Ausbildung zur Kindergartenlehrerin gemacht und dort sechs Jahre Vollzeit gearbeitet, doch die PH erkennt das Diplom nicht an.

Damit Sarah K. also zur Aufnahmeprüfung zugelassen wird, hat sie kürzlich die Ausbildung zur Restaurantfachfrau EFZ abgeschlossen - nachdem sie bereits mehr als zehn Jahre im Service gearbeitet und schon ein eigenes Restaurant geführt hatte. «Wenn ich nicht an das Diplom der PH rankomme, weiss ich auch nicht, was ich machen soll», sagt sie.

Die zwei Lehrerinnen ohne Diplom sind sich einig. Eine Primarschulklasse drei Jahre zu begleiten – also einen ganzen Schulzyklus durchzumachen – wäre pädagogisch ideal und für die sozialen Beziehungen zwischen Lehrpersonen, Eltern und Kindern das Beste.

Die «höchste Lehrerin» ist skeptisch

Sie hoffen dabei auch auf Unterstützung aus der Politik. Grünen-Kantonsrätin und Primarlehrerin Livia Knüsel forderte am Montag in einer parlamentarischen Initiative, dass Lehrkräfte neu für maximal drei Jahre befristet an der gleichen Schule unterrichten dürfen. «Wir wollen die Situation so gestalten, dass es allen etwas bringt», so Knüsel. Während der Anstellung sollen die Lehrpersonen ohne Diplom ausserdem eine von Kanton und Gemeinden vergütete Weiterbildung erhalten.

Die Präsidentin des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands, Lena Aerni, ist skeptisch. «Wir können nachvollziehen, warum Schulgemeinden das möchten. Wir sind jedoch überzeugt, dass das Problem damit langfristig nicht gelöst wird.» So führe der Vorstoss bloss zu einer Verschiebung der Problematik.

SP-Kantonsrätin Carmen Marty Fässler aus Adliswil ergänzt: «Durch diese Parlamentarische Initiative würde ein Missstand (Umgang mit Lehrpersonenmangel) sogar gesetzlich festgelegt. Wir wollen jedoch nachhaltig dafür sorgen, dass es genügend Lehrpersonen gibt – eine Pflästerli-Politik ist nicht die Lösung.»

Nachdem die Parlamentarische Initiative am Montag von fast allen Fraktionen unterstützt wurde, wird sich nun die zuständige Kommission beraten und dem Regierungsrat eine Stellungnahme unterbreiten. Danach wird der Kantonsrat erneut darüber abstimmen.

veröffentlicht: 15. September 2024 08:46
aktualisiert: 15. September 2024 08:46
Quelle: ZüriToday

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