Schweiz

Femizide in der Schweiz: «Niemals aus Liebe» legt den Fokus auf die Täter

Femizide in der Schweiz

«Niemals aus Liebe» legt den Fokus auf die Täter

· Online seit 20.10.2024, 07:48 Uhr
Wie erklärt man Männern, dass sie der Ursprung des Problems sind, ohne sie dabei anzugreifen? Genau das versuchen die Journalistinnen Miriam Suter und Natalia Widla in ihrem neusten Buch.
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«Während wir dieses Buch geschrieben haben, wurden in der Schweiz 31 Frauen getötet…» oder «Während wir dieses Buch geschrieben haben, haben in der Schweiz 31 Männer Frauen getötet...» Ein Satz, der eigentlich beide Male dasselbe aussagt, oder? Nicht ganz.

Der entscheidende Unterschied liegt darin: Im zweiten Satz tauchen die Täter auf, während im ersten jegliche Verantwortlichen fehlen. Wie entscheidend das richtige Wording beim Thema sexualisierte Gewalt ist, verdeutlichen die Autorinnen Miriam Suter und Natalia Widla bereits auf der ersten Seite ihres neusten Buches «Niemals aus Liebe».

Während die beiden Journalistinnen in ihrem ersten gemeinsamen Buch «Hast du Nein gesagt» den Fokus auf Betroffene von sexualisierter Gewalt legten, fokussieren sie sich in ihrem neusten Werk auf die Täter.

Die Zahlen sprechen dabei für sich: Allein in diesem Jahr wurden in der Schweiz bereits 14 Frauen von Männern getötet. Der aktuellste Femizid wurde vor wenigen Wochen in Bülach begangen. Zudem rückte die Polizei im vergangenen Jahr nur schon in Zürich 20 Mal pro Tag wegen häuslicher Gewalt aus, wie Zahlen von «Stop Femizid» zeigen.

Quelle: ZüriNews / Nach Tötungsdelikt in Bülach: Mutmasslicher Täter verhaftet / Beitrag vom Oktober 2024

«Es gibt auch Frauen, die gewalttätig sind. Der Grossteil wird aber immer noch von Männern ausgeübt. Männer sind leider der Ursprung sexualisierter Gewalt», erklärt Miriam Suter, Co-Autorin des Buches, gegenüber der Today-Redaktion. Hinzu komme, dass selbst Gewalt an Männern vor allem durch andere Männer ausgeübt werde.

Verteidigung als Reaktion

Diese Fakten seien für viele schwer erträglich. Das zeigt sich auch immer wieder auf Social Media. Bei fast jedem Beitrag über sexualisierte Gewalt reihen sich in der Kommentarspalte unzählige Hashtags #notallmen ein. Damit deute man darauf hin, dass es sich beim Täter um einen Einzelfall handle, denn es seien ja schliesslich nicht alle Männer so, sagt Suter.

Was also als eine Art Verteidigung von vielen Männern angewendet wird, dementiere aber gleichzeitig, dass es sich um ein strukturelles Problem handle. «Doch die Statistiken beweisen, dass es längst keine Einzelfälle mehr sind», fügt Suter an.

Spätestens seit dem Vergewaltigungs- und Schändungsfall von Gisèle Pelicot aus Avignon kursiert auf den Hashtag #notallmen die Antwort #butalwaysmen. «Der Fall Pelicot zeigt einmal mehr, dass es eben nicht den einen Täter gibt. Die Angeklagten im Fall Pelicot stammen aus allen Schichten, Alter und Nationen», führt Suter aus. Es ist also ein Querschnitt der Gesellschaft, der sich an dieser Frau vergangen hat. Sie alle haben aber eines gemeinsam: Sie sind alle Männer.

Balance zwischen Klartext und Feingefühl

«Ich kann verstehen, dass es für Männer unangenehm und anstrengend ist, sich mit dem Thema auseinander zusetzen. Aber wir brauchen die Männer, um gegen sexualisierte Gewalt vorgehen zu können», erklärt Suter weiter. Die beiden Autorinnen versuchten deswegen in ihrem Buch, das Thema möglichst «forschend und erklärend» näherzubringen. Sollte man also Männer mit Samthandschuhen anfassen, um ihnen das Thema sexualisierte Gewalt näherzubringen?

Eine verträgliche Version des Themas zu schaffen, sodass sich die Männer nicht angegriffen fühlen und sich stattdessen damit auseinandersetzen, sei in der Tat schwierig: «Die Zugänglichkeit zu schaffen, birgt oft die Gefahr, das Thema so stark ‹abzusoften› zugunsten der Männer, dass es die Kraft und die nötige Wut herausnimmt und den Opfern nicht mehr gerecht wird», hält Suter fest.

Es sei deswegen ein Balanceakt zwischen dem Aufklären als Journalistin und der Wut als Frau im patriarchalen System, so die Co-Autorin. Zusammenfassend sagt sie: «Man sollte die Samthandschuhe nicht immer anziehen, um Männer das Thema näherzubringen. Es ist aber gut, sie dabei zu haben.»

Das Buch sei also keineswegs ein Angriff auf die komplette männliche Spezies, vielmehr ein Appell, um Teil der Lösung zu werden. Alle Männer seien zwar potenzielle Täter, aber eben auch potenzielle Verbündete im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt.

Die beiden Journalistinnen wenden sich beispielsweise in ihrem Buch mit einer Frage direkt an die Männer: «Wann hast du das letzte Mal einen Freund oder Arbeitskollegen auf eine sexistische Bemerkung aufmerksam gemacht?» Solche scheinbar kleinen Engagements seien enorm wichtig und wirkungsvoll, denn Männer hören tendenziell immer noch eher auf andere Männer als auf Frauen. Also ja: Nicht jeder Mann ist Teil des Problems, aber jeder Mann könnte Teil der Lösung werden.

veröffentlicht: 20. Oktober 2024 07:48
aktualisiert: 20. Oktober 2024 07:48
Quelle: ZüriToday

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